AUF DEN SPUREN MEINER MUTTER –
FLUCHT, VERTREIBUNG UND MEINE VERSÖHNUNG
»Bevor es mit mir zu Ende geht, schreibe ich noch ein Buch,
denn was ich erlebt habe, das glaubt mir ja sonst keiner.«
Dies sagte meine Mutter im Jahr 1995, 50 Jahre nach ihrer Flucht aus Niederschlesien. Sie war damals 75 Jahre alt und erzählte wieder einmal von ihren Erlebnissen. Doch dieses Buch hat sie nie geschrieben. 16 Jahre nach Mutters Tod fasste ich den Entschluss, das Buch zu schreiben, das sie nie schreiben konnte – die Geschichte meiner Mutter, die Geschichte der Schlesier, verbunden mit meiner eigenen. Fast 80 Jahre nach Mutters Flucht aus ihrem Heimatdorf Dammer und 16 Jahre nach ihrem Tod machte ich mit 65 Jahren die bewegendste, erkenntnisreichste und heilsamste Reise meines Lebens. Zum ersten Mal fühlte sich meine Seele wirklich daheim. Im Frühjahr 2024 begab ich mich auf die Suche nach meinen schlesischen Wurzeln. Die Erfahrungen dieser ersten, zutiefst emotionalen Reise in das Heimatdorf meiner Mutter waren überwältigend, beinahe übernatürlich.
DIE GESCHICHTE EINER UNGESCHRIEBENEN ERINNERUNG
»Meine Seele folgte dem Ruf meiner Ahnen – dann sagte mein Herz: Willkommen daheim.«
Hallo, ich bin Petra Eva Maria Schüßler. Ich bin die jüngste von fünf Töchtern und wurde als Spätgeborene zur Welt gebracht. Meine Mutter, Charlotte Schüßler (geborene Schott), kam am 10. Juni 1920 in Breslau zur Welt.
Meine Mutter nannte mich oft "Petrale", manchmal aber auch "Petronella". Der Name Petronella hat eine besondere Geschichte: Ich war für meinen Großvater, Karl Samuel Schott, den schlesischen Gutsbesitzer aus Dammer, die "Petronella". "Nur Mutter und ich nannten ihn 'Opa Taramtatam' – ein Name, den wir
DER OPA, DER NICHT LACHEN KONNTE
Mein Opa Taramtatam war einst ein wohlhabender und angesehener Gutsherr in Niederschlesien. Nach der Flucht lebte er in bescheidenen Verhältnissen nahe Hanau in Hessen. Alle paar Wochen besuchte er uns auf unserem unterfränkischen Bauernhof – immer wie aus dem Ei gepellt.
Ich sehe ihn noch im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzen, eingenebelt vom Rauch seiner dicken Zigarre, einen Frankenschoppen vor sich. Durch seine dicke Hornbrille blickend, sagte er in seinem unverkennbaren schlesischen Akzent: "Petronella, erzähl mir einen Schwank aus deinem Leben." Das war seine unbeholfene Art, mit mir ins Gespräch zu kommen. Manchmal lud er mich ein: "Petronella, komm, wir fahrn nach Hammelburg auf Schloss Saaleck. Ich lad dich ein auf a Würschtl, und der Opa trinkt nen gutn Frankenschoppn."
Unbeschwert und fröhlich erlebte ich meinen Opa Taramtatam nie. Ich sah ihn nie, auch nur ein einziges Mal lachen.
Der Opa, der nicht lachen konnte, teilte mit seiner Tochter Lotte und seiner Enkelin Petronella allerdings eine besondere Vorliebe: die Liebe zum Wein. Ob das wohl in der "Schlesier-DNA" liegt?
Vielleicht haben die Schlesier ja ein geheimes Wein-Gen, das Wissenschaftler noch nicht entdeckt haben! Oder es ist einfach der gute Geschmack, der sich über Generationen vererbt hat. Wer weiß, vielleicht floss in den Adern meiner schlesischen Vorfahren mehr Rebensaft als Blut!
Mein Genuss-Tipp für alle Namslauer Heimatfreunde
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Pasta vom Feinsten mit leckerem italienischen Rotwein im "Makaroniarnia Marcel" in Namslau bei meiner ersten Reise
im April 2024. Das hätte meinem Knötchen, so nannte ich meine Mutter Charlotte, auch gemundet.
DAS FAMILENGRAB DER SCHOTTS IN DAMMER
Erst im April 2024, 47 Jahre nach Opas Tod wurde ich bei meiner ersten Familien-forschungsreise von den Geistern meiner Ahnen zum Familiengrab der Schotts in Dammer geführt. Eine göttliche Fügung, denn von dessen Existenz wusste niemand in unserer Familie, auch Opa selbst nicht. Das Grab war der Schlüssel zu allem: Von dort wurde ich zum ehemaligen Gutshof meiner Vorfahren geleitet, von dem ebenso niemand etwas wusste. Da begann ich, mich mit Opas Schicksal zu beschäftigen und zu verstehen, warum ihm das Lachen vergangen war.
Mein Großvater, der Gutsbesitzer Karl Schott (*30.03.1893 in Dammer – †25.10.1977 in Brachttal/Hessen), floh laut den Informationen des DRK-Suchdienstes für Heimatvertriebene am 20. Januar 1945 im Alter von 52 Jahren aus Saybusch (heute Żywiec, Polen). Dieser Tag markiert eine der dramatischsten Wendepunkte im Zweiten Weltkrieg, als die sowjetischen Truppen unaufhaltsam von Osten vorrückten und die Grenze des Deutschen Reiches immer näher rückte. Saybusch, damals Teil des „Ostens“ des Deutschen Reichs, war zu dieser Zeit ein Gebiet, das durch die Kriegswirren schwer erschüttert war. Im Januar 1945 näherten sich die sowjetischen Streitkräfte rasch der Region und führten zu intensiven Kämpfen. Saybusch gehörte damals zur „Volks-deutschen“ Region, die ich während des Krieges unter deutscher Kontrolle befand.
DER EHEMALIGE GUTSHOF DER FAMILIE SCHOTT IN DĄBROWA (BIS 1945 DAMMER) IM SEPTEMBER 2024
OPA TARAMTATAMS FLUCHT AUS SAYBUSCH WEIT WEG –
AM 20. JANUAR 1945 EINEN TAG NACH MUTTERS FLUCHT AUS DAMMER
Ich bin mir sicher, dass mein Opa als Teil des Volkssturms eingesetzt wurde – einer militärischen Formation, die gegen Ende des Krieges aus Männern im Alter von 16 bis 60 Jahren bestand, die zuvor nicht in der Wehrmacht gedient hatten. Diese verzweifelte Maßnahme sollte als letzte Verteidigungslinie gegen die anrückenden sowjetischen Truppen dienen. Die deutsche Armee zog sich zurück, und viele Zivilisten, einschließlich Wehrmachtseinheiten und Mitglieder des Volkssturms, versuchten, sich vor der nahenden Front in Sicherheit zu bringen. Die Städte und Dörfer dieser Region, darunter auch Saybusch, wurden von einer Flüchtlingswelle überschwemmt, die mit Chaos und Zerstörung einherging. Opa war zu dieser Zeit erneut mit unvorstellbarem Leid und Unsicherheit konfrontiert.
SCHICKSALSSCHLÄGE MEINER SCHLESISCHEN FAMILIE IM SCHATTEN ZWEIER WELTKRIEGE
Besonders tragisch war Opas Verlust seiner Ehefrau Klara, die von ihm liebevoll "Klärchen" genannt wurde. Am 13. August 1944 erlag sie ihrem schweren Krebsleiden – einsam im Krankenhaus von Oppeln, fernab ihrer Familie. Nur fünf Monate später musste Opa Taramtatam aus seiner Heimat fliehen. Zu dieser Zeit war er als Volkssturm-Mann im Osten des Reiches, in Saybusch, stationiert – 250 Kilometer entfernt von Dammer, seiner Tochter Charlotte und seiner kranken Ehefrau. Meine Mutter, die erst im Mai desselben Jahres ihren Ehemann verloren hatte, musste ihre geliebte Mutter allein zu Grabe tragen. Doch dies war nicht das erste Mal, dass mein Opa durch einen Krieg alles verlor.
Bereits im Ersten Weltkrieg hatte er als junger Soldat im Preußischen Heer unsägliches Leid erfahren. Er war mehr als einmal wegen einer Trommelfellverletzung (Folge des ohrenbetäubenden Dauer-Trommelfeuers) und schlimmen Hautausschlägen (möglicherweise infolge von Giftgaseinsätzen) im Lazarett.
Nach zwei Jahren an der grausigen Flandernfront als Maschinengewehrfahrer verlor er mit nur 23 Jahren seine gesamte Familie. 1916 starben seine Eltern und sein Bruder fast zeitgleich an Typhus. Diese tiefen Schicksalsschläge prägten ihn für den Rest seines Lebens.
DAS FAMILIENGRAB DER SCHOTTS IM SEPTEMBER 2024
"Grabstein-Rubbing" in Dąbrowa (bis 1945 Dammer)
Durch Gottes unerforschlichen Ratschluss
wurden uns in schwerer Kriegszeit aus
unserer Familie infolge von Typhus abberufen
Karl Schott
Erbscholtiseibesitzer
19. Juni 1862 – 20. August 1916
Anna Schott
geborene Titzmann
17. Oktober 1864 – 13. August 1916
Eugen Schott
8. Dezember 1895 – 18. August 1916
Was wir bergen in den Sorgen in das Gedenken
Was wir lieben ist geblieben für die Ewigkeit
Opa Taramtatam war ein guter Mensch, dessen Leben von schwerem Leid gezeichnet war. Ich hoffe von Herzen, dass seine Seele in einer neuen Inkarnation Frieden und Glück gefunden hat.
Als mein Opa 1945 fliehen musste, blieb ihm nichts außer der Kleidung, die er trug. Meine Mutter, die mit ihrer kleinen Tochter die letzte Bewohnerin des Schott-Hofes war, packte in jener eisigen Nacht des Aufbruchs in Panik einige wenige Dokumente und Fotos ein. Doch vom Gutshof selbst und den Erinnerungen an die Familie blieb nichts erhalten: Keine Bilder von meinem Opa, keine von der Hochzeit meiner Großeltern oder den Kindheitstagen meiner Mutter und ihrer Geschwister. Auch die Fotografien meiner Urgroßeltern und des jüngeren Bruders meines Opas gingen unwiederbringlich verloren.
Sowohl mein Kosename Petronella als auch mein zweiter, im Taufschein eingetragener Vorname Eva Maria haben tiefe Wurzeln in Schlesien.
Eva Maria Tuchenhagen, meine Taufpatin und Freundin meiner Mutter, teilte im Januar 1945 das Schicksal vieler Schlesier auf der Flucht. Gemeinsam mit ihrer Mutter war sie Teil des Dammerschen Trecks, einer Reise ins Ungewisse.
Tante Eva, wie ich sie nannte, entwickelte sich später zu einer wohlhabenden Berliner Unternehmerin. Nach meiner Taufe verirrte sie sich nur ein einziges Mal nach Heßdorf. Ich erinnere mich noch gut daran als Mitte der 60er Jahre fuhr ein weißes Mercedes Cabrio in unseren bescheidenen Hof fuhr. Eine elegante Blondine, fast wie Marlene Dietrich im Nerz, stieg aus - es war Tante Eva.
Leider kümmerte sie sich nie wirklich um ihr Patenkind. Dabei hätte meine Mutter, die im Gegensatz zu ihrer Fluchtgefährtin nicht das große Los gezogen hatte, jede Hilfe so dringend gebrauchen können. Der Kontrast zwischen Tante Evas Wohlstand und unseren einfachen Verhältnissen hätte kaum größer sein können.
DIE EHE MEINER ELTERN UNTER EINEM SCHLECHTEN STERN
Meine Mutter hatte in der neuen fremden Heimat Unterfranken wahrlich nicht das große Los gezogen. Sie hatte meinen Vater, einen armen Bauern geheiratet, der nie Bauer werden wollte, sondern indirekt dazu gezwungen wurde.
Mein fränkischer Vater Gerhard Schüßler, den wir alle Sani nannten, weil er im zweiten Weltkrieg Sanitäter war, hatte aus gutem Grund ein total gestörtes Verhältnis
zu seinen Eltern. Schließlich hatten sie ihm nach seiner Rückkehr aus dreijähriger Kriegsgefangenschaft sein Leben versaut. Die beiden älteren Söhne meiner Großeltern waren gefallen. Heinrich war schon beim Russlandfeldzug im Juli 1941 in Belarus gefallen und der Älteste, der eigentliche Hoferbe und Omas liebster Sohn Paul, starb nach langen, bitteren Jahren an der Ostfront im März 1945 in Oberschlesien.
MEIN FRÄNKISCHER VATER "SANI" – BAUER WIDER WILLEN
Ausgerechnet der jüngste Sohn, den meine unterfränkischen Großeltern nicht besonders schätzten, mein Vater Gerhard Schüßler, hatte überlebt. Er kam im Juni 1947 unversehrt und wohlauf aus der dreijährigen US-Gefangenschaft zurück.
LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK
Im Jahre 1949, kurz nach seiner erfolgreichen Ausbildung zum Industriepolizisten, fand mein Vater eine Anstellung bei der MP in Würzburg. Es war auf einem Dorffest in Höllrich, wo sein Leben eine schicksalhafte Wendung nahm. In seiner feschen Uniform erblickte er inmitten der Festlichkeiten meine Mutter - und es war Liebe auf den ersten Blick.
Seine "Charlott", wie er sie zärtlich nannte, war ein Flüchtling, eine Kriegerwitwe und Gutsbesitzertochter aus Nieder-schlesien. Sie stammte aus einer angesehenen, wohlhabenden Familie und war in ihrer Heimat nur in den besten Kreisen verkehrt. Ihre Erscheinung und ihr Auftreten hoben sie deutlich von den bodenständigen jungen Frauen der umliegenden Dörfer ab. Mit ihrer kultivierten Art und ihrem feinen Wesen verkörperte sie eine ganz andere Welt als die, die mein Vater bisher gekannt hatte. Sie erinnerte ihn an die eleganten Französinnen, die er während seines Einsatzes als Sanitäter der Luftwaffe in der Normandie gesehen hatte.
EINE LIEBE GEGEN ALLE WIDERSTÄNDE
Im November 1949 trotzte mein Papa Gerhard dem Widerstand seiner Eltern und der örtlichen Kirchengemeinde und heiratete seine große Liebe Charlotte, die schlesische Flüchtlingswitwe, in Hammelburg. Gemeinsam träumten sie von einem neuen Leben in Würzburg – einer kleinen Wohnung und einer Zukunft voller Hoffnung.
VORURTEILE UND ABLEHNUNG
Die Vorbehalte gegen diese Verbindung waren tiefgreifend. Meine fränkischen Großeltern sahen in meiner Mutter lediglich eine "Polackin" und "Habenichtse", noch dazu eine Witwe mit Kind.
Selbst der Höllricher Pfarrer, aufgestachelt von meinen sehr einfachen und armen Großeltern, den Schwiegereltern in spe, verweigerte dem Paar die Trauung. Dabei teilten beide Familien den lutherisch-evangelischen Glauben - die Konfession war also nicht der Stein des Anstoßes. Daher fand die kirchliche Trauung in Hammelburg statt.
EIN VERSTÖRENDER KIRCHENBUCHEINTRAG
Erst Jahrzehnte später, im Jahr 2008 nach dem Tod meiner Mutter, kam die volle Tragweite dieser Ablehnung ans Licht. In einem Gespräch mit der Pfarrerin von Höllrich entdeckte die von meiner Familienforschung beeindruckte, sehr empathische Pfarrerin einen verstörenden Eintrag im Kirchenbuch von 1949:"Gerhard Schüßler hat gegen den Willen seiner Eltern Wilhelm und Helene Schüßler geheiratet." Ich glaube sie war fast genauso befremdet wie ich, weil auch sie schlesische Wurzeln hatte. Außerdem war ihr Vater, fast im gleichen Jahr wie meine Mutter in Breslau geboren. Sie war also eine "Halbschlesierin" und ein Flüchtlingskind.
Meine fränkischen Großeltern konnten die Eheschließung ihres Sohnes und Hoferben mit seiner Charlotte nicht verhindern. Sie schafften es jedoch mit Unterstützung des "ehrbaren" örtlichen Pfarrers von 1949 auf meinen Vater solchen massiven Druck auszuüben bis er schließlich nachgab und den heruntergewirtschafteten Bauernhof sehr zum Leidwesen meiner Mutter übernahm.
DIE LAST DES SCHULDENHOFES – HOFERBE WIDER WILLEN
Der jüngste, ungeliebte Sohn sollte kein selbstbestimmtes glückliches Leben führen,
er sollte nie seine Träume verwirklichen.
Nach der Übernahme stellte sich heraus, dass der Hof hoch verschuldet war –
eine bittere Enttäuschung für meine Eltern. Ihre Träume von einem selbstbestimmten Leben zerbrachen unter der Last familiärer Erwartungen.
FAMILIENTRADITIONEN UND IHRE FOLGEN
Wie Bert Hellinger sagte: „Die Ordnung in Familien sorgt dafür, dass Unrecht gesühnt wird.“ In bäuerlichen Familien gilt es als großes Unrecht, wenn die Erbfolge nicht eingehalten wird. Eine wichtige Frage ist deshalb: Gab es in der Familie Unrecht und Schuld? Also dann, wenn nicht der älteste Sohn den Hof erbt, sondern ihn sein jüngerer Bruder bekommt. Dieser Hof bringt dann oft Unglück.
BÄUERIN UND MAGD WIDER WILLEN
Der Einzug auf den fränkischen Schuldenhof, mein späteres Elternhaus, markierte für meine Mutter den Beginn eines wahren Martyriums.
Die ehemalige Verwaltungs-angestellte aus dem Namslauer Landratsamt in Schlesien fand sich in der Rolle einer Bäuerin und Magd wieder.
Jahrelang wurde sie von meinem übergriffigen Großvater, diesem Satansbraten, schikaniert und gedemütigt. Ihr Alltag bestand aus Feldarbeit, wie Rüben hacken bei jedem Wetter, täglichem Melken der Kühe, der Versorgung von uns fünf kleinen Kindern und der Bewältigung des gesamten Haushalts einer Großfamilie.
Trotz harter Arbeit kamen meine Eltern bis in die späten 1960er Jahre finanziell nicht voran. Sie waren mit der Situation völlig überfordert. Das Leben meiner Mutter in der neuen Heimat gestaltete sich lange härter und entbehrungsreicher als das der Mägde auf dem Gutshof ihrer Eltern in Dammer.
Erst 2008, nach dem Tod meiner Mutter, erfuhr ich von ihrem nie verheilten Groll: Sie hatte meinem Vater nie verziehen, dass er dem Druck seiner Eltern nachgegeben und dieses unselige Erbe angetreten hatte – ein Schritt, der sie zur Bäuerin wider Willen machte.
ERINNERUNGEN AN DIE FLUCHT
Es war an einem Sonntag im Jahr 1995, genau 50 Jahre nach Mutters Flucht, als ich wieder einmal meine Eltern in Heßdorf besuchte. Nach dem Mittagessen teilte sie, wie so oft, ihre Erinnerungen an die Flucht mit uns.
An diesem Tag erzählte Mutter von meiner Taufpatin Eva und den Verlusten während ihrer Odyssee. Mit einer für sie typischen Mischung aus Humor und Distanz – ihrer Art, mit schwierigen Erinnerungen umzugehen – berichtete sie von den Diebstählen am Oderufer.
Sie sprach mit einer Kombination aus Wehmut und Ironie über die schmerzlichen Verluste, die sie erlitten hatte. Ihr erster Ehemann, der Pilot Herbert Frei, der Vater ihrer kleinen Tochter, meiner Halbschwester Christel, war nur ein halbes Jahr vor ihrer Flucht abgeschossen worden. Er war ihre große Liebe gewesen, und der Verlust seiner persönlichen Gegenstände schmerzte sie besonders: sein Siegelring, seine Fliegerhandschuhe und seine Fliegerhose – alles war weg.
Mit einem Anflug von Galgenhumor erzählte sie: "Und das Schlimmste war noch, der ganze Bohnenkaffee, den ich dabei hatte, war weg. Das fliegende Personal bekam doch immer diesen gepressten Bohnenkaffee, den er nach Hause schickte oder mitbrachte."
Der Verlust des Kaffees traf besonders ihre Freundin Eva und deren Mutter hart, die mit ihnen auf der Flucht waren. Mutter berichtete weiter von einer Nacht in einem alten Forsthaus. Plötzlich klopfte jemand gegen die Scheiben und warnte sie, dass die russischen Truppen nur noch vier Kilometer entfernt seien. In aller Eile brachen sie auf, mitten in der Nacht, mit Pferden und Wagen.
"Weißt du, was das heißt, mit Hengsten?", fragte sie mich, um die Dramatik der Situation zu unterstreichen.
FLUCHT UND VERTREIBUNG – DAS ERBE MEINER MUTTER
Charlotte
Die glückliche Geburt eines munteren Töchterchens zeigen hocherfreut an,
Dammer, den 10. Juni 1920
s-Kt Breslau, Kronprinzenstr. 28
Karl Schott, Gutsbesitzer
und Frau Kläre, geb. Nalepa
Das Kriegsschicksal meiner Mutter Charlotte — Mutters dramatische Flucht mit Pferdefuhrwerken aus ihrem niederschlesischen Heimatdorf Dammer im Januar 1945
Meine Mutter Charlotte, eine schlesische Gutsbesitzertochter und Kriegerwitwe, die alles verloren hatte, was ihr je lieb war, trug das unermessliche Gewicht ihrer Erlebnisse ein Leben lang mit sich. Sie hatte nie die Möglichkeit, die traumatischen Erfahrungen des Krieges zu verarbeiten.
Die Wochen lange Flucht vor der vorrückenden Roten Armee im Januar 1945 – dem eisigsten Kriegswinter – prägte sie auf grausame Weise. Ihr Heimatdorf Dammer in Niederschlesien lag unter Schneeverwehungen und Temperaturen von bis zu minus 20 Grad. Sie musste sich mit Pferdefuhrwerken fortbewegen, stets unter dem ohrenbetäubenden Lärm von Bombenhagel und Kanonendonner, während sie ständig in Todesangst lebte. Die Furcht vor Vergewaltigung, die Sorge um ihre Tochter und der Verlust alles Bekannten verfolgten sie bis an ihr Lebensende.
DAS SCHICKSAL MEINER MUTTER IST AUCH MEIN SCHICKSAL – IHRE TRAUMATA WURDEN MEINE TRAUMATA
Die Erlebnisse meiner Mutter und die damit verbundenen verdrängten Gefühle wurden an mich weitergegeben. Auch wenn sie über diese Zeit sprach – oft viele Jahre später – heilte dies nicht die tiefe Wunde in ihrer Seele. Im Gegenteil, es verstärkte oft den Schmerz, den sie jahrelang in sich getragen hatte. Besonders der 19. Januar 1945, als sie mit nur 24 Jahren zusammen mit meiner kleinen Halbschwester Christa aus Dammer floh, bleibt in ihrem Gedächtnis unvergessen. Sie waren, abgesehen von den polnischen Bediensteten, die letzten deutschen Bewohner des Gutshofes, den ihre Familie über Generationen hinweg bewirtschaftet hatte.
Der Verlust der Heimat, die ständige Angst und der Schmerz der Flucht – all das hinterließ tiefe Spuren, die nie ganz verschwanden. Auch Jahre später, als sie bereits in einem anderen Leben war, kehrten diese Erinnerungen immer wieder zurück.
Ohne das Grab meiner Urgroßeltern hätte ich nie erfahren, welch erschütternde Tragödien mein Opa durchleben musste. Erst 45 Jahre nach seinem Tod begann ich, das schwere Schicksal meiner schlesischen Vorfahren wirklich zu begreifen. Und trotzdem blieb vieles verborgen. Als mein Opa 1945 floh, hatte er nur das, was er am Leib trug. Meine Mutter hingegen hatte immerhin die wichtigsten Dokumente gepackt, sowie das einzige Foto ihres gefallenen Ehemannes, ihres geliebten Herbert. Doch von ihrem Gutshof, von der Hochzeit meiner Großeltern, von den Kindheitsbildern meiner Mutter und ihrer Geschwister – es gibt keine Fotos. Auch die Bilder meiner Urgroßeltern und des jüngeren Bruders meines Opas, der so tragisch verstarb, fehlen. Sie alle blieben unwiederbringlich verloren.
Diese Erinnerungen, die aus der Not der Flucht hervorgehen, sind ein schwerer Teil unserer Familiengeschichte. Es ist eine Erinnerung an das unermessliche Leid und die Verluste, die mein Großvater und viele andere durch den Krieg erlebten – und die für uns Nachgeborene nur bruchstückhaft nachzuvollziehen sind.
DER DAMMERSCHE TRECK
»Der Russe kommt, ihr müsst schnell weg!«
Diese Worte rief in jener Nacht um 1:00 Uhr der Ortsbauernführer Sonnek, als das gesamte Dorf zur Evakuierung zusammengerufen wurde. Die wenigen Gespanne und Fahrzeuge wurden unter den Familien aufgeteilt, die auf die Flucht gehen mussten.
Doch nicht alle wollten ihre Heimat verlassen ...
Der »Dammersche Treck«, mit dem meine Mutter floh, war einer von vielen Flüchtlingstrecks dieser Zeit. Die Flüchtenden gerieten oft zwischen die Fronten und in Kampfhandlungen. Viele starben an Hunger, Kälte oder wurden Opfer von Gewalt und Vergewaltigung. Für junge Mütter mit Kindern war die Flucht besonders schwierig.
ABSCHIED VON SCHLESIEN
Schlesien, als ich dich verließ
hinter dem Bettelkarren her,
hielt ich die Hand vor mein blutendes Herz,
und die Füße gingen mir schwer.
Schlesien, als ich dich verließ,
ging ich an Mutters Grab vorbei,
und ich weinte, als ob meine Mutter
mir zum zweiten Male gestorben sei.
Schlesien, als ich dich verließ
trocknete meine Tränen kein Wind.
Grau war der Tag, ohne Stern sank die Nacht
über mich altes, verwaistes Kind ...
Hermann Gebhardt
ICH BIN EIN KIND DES KRIEGES – GEBOREN IN DER FREMDE
Ich kam 1958, 13 Jahre nach der Flucht meiner Mutter, in ihrer neuen, fremden Heimat Unterfranken als fünfte Bauerstochter zur Welt. Seit meiner frühesten Kindheit fühlte ich mich als Flüchtlingskind, als Kriegskind. Manchmal erscheint es mir, als sei ich selbst dabei gewesen, als meine Mutter in jener eisigen Winternacht im Januar 1945 ihr geliebtes Elternhaus, ihr Dorf Dammer und ihre schlesische Heimat für immer verlassen musste.
1945 flohen 3,2 Millionen Schlesier ins Sudetenland, nach Sachsen, Thüringen und Bayern. Etwa 800.000 Schlesier überlebten Flucht und Vertreibung nicht.
DEUTSCHE AUF DER FLUCHT AUS SCHLESIEN
Die Flucht aus Schlesien war für zahllose Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, eine erschütternde Erfahrung. Die sowjetischen Truppen überschritten die Grenze zu Schlesien – für Millionen Schlesier begann ein verzweifelter Exodus bei eisiger Kälte.
14 JUNI 1944 💔 VISION DES SCHRECKENS AM STRAHLEND BLAUEN SOMMERHIMMEL
Eine Vision des Schreckens zeichnete sich am strahlend blauen Sommerhimmel ab - ein Feuer, das für meine Mutter Charlotte Schott zur bitteren Realität werden sollte. Ihre tiefe Verbundenheit mit ihrem Ehemann Herbert Frei, einem in Wilkau geborenen Feldwebel und Piloten der Luftwaffe, ließ sie die drohende Tragödie erahnen.
Charlotte hatte am 2. Mai 1941, im Alter von 21 Jahren, die Liebe ihres Lebens geheiratet. Doch ihr Glück war nur von kurzer Dauer. Am 14. Juni 1944, nur vier Tage nach ihrem 24. Geburtstag und sieben Monate vor ihrer Flucht aus Dammer, wurde Herberts Flugzeug in der Nähe von Roth bei Nürnberg abgeschossen. An Bord befanden sich auch weitere hochrangige Offiziere.
Mit nur 24 Jahren wurde Charlotte zur Kriegerwitwe. Ihre gemeinsame Tochter Christel, meine Halbschwester, verlor im zarten Alter von 10 Monaten ihren Vater und wurde zur Halbwaise. Dieses tragische Ereignis markierte einen Wendepunkt in Charlottes Leben, kurz bevor sie sich den Herausforderungen der Flucht stellen musste.
ABSCHRIFT DER TONBANDAUZEICHNUNGEN VON MUTTERS FLUCHTGESCHICHTEN
ZU VIELE SCHMERZHAFTE VERLUSTE – GELIEBTE MENSCHEN, HEIMAT UND ALLES, WAS EINMAL WAR
Im Mai 1941 heiratete meine Mutter Charlotte ihre große Liebe, den Piloten der Luftwaffe Herbert Frei aus Wilkau. Der tragische Tod ihres Mannes sollte sie jedoch ihr Leben lang nicht loslassen. Nur vier Tage nach ihrem 24. Geburtstag, am 14. Juni 1944, schlug das Schicksal erbarmungslos zu: Die Maschine von Herbert Frei wurde in der Nähe von Roth abgeschossen. Bei diesem Unglück kamen nicht nur er, sondern auch neun weitere Soldaten, darunter hohe Offiziere, ums Leben. Sie sind auf dem Rother Ehrenfriedhof beigesetzt.
Mit nur 24 Jahren wurde meine Mutter zur Witwe. Doch das Leid sollte noch weitergehen. Nur zwei Monate später, im August 1944, musste sie ihre geliebte Mutter Klara, meine Großmutter, beerdigen. Klara war am 13. August 1944, nur fünf Monate vor der Flucht ihrer Tochter aus dem Elternhaus, im Alter von nur 45 Jahren im Oppelner Krankenhaus ihrem Krebsleiden erlegen.
Klara Pauline Schott, geborene Nalepa 💔
*8. März 1899 Kentschkau/Breslau
†13. August 1944 Sankt-Adalbert-Hospital Oppeln
DIE ERLEBNISSE VON MUTTERS BRÜDERN WÄHREND DES KRIEGES
Mutters jüngere Brüder, Gerhard und Heinz, waren beide als Soldaten im Kriegseinsatz. Erst vor kurzem stieß ich im Rahmen einer Recherche des Bundesarchivs auf eine erschütternde Information, die mir bislang unbekannt war: Mein geliebter Onkel „Gerdl“ (Gerhard Schott, *16.04.1926 in Dammer – †2006 in Ostheim) war seit September 1944, im Alter von 18 Jahren, in französischer Kriegsgefangenschaft. Es war ein Schicksal, das er in jungen Jahren erleiden musste.
Im Jahr 1943, mit gerade einmal 17 Jahren, wurde er nicht freiwillig, sondern unter Druck oder Zwang, in die Waffen-SS eingezogen, um als Kanon-Meldefahrer zu dienen. Ab 1943 wurden zunehmend junge Männer, oft noch Teenager, unter Zwang in die Waffen-SS gedrängt. In einigen Fällen wurden sogar 15-Jährige in sogenannten Kurzlehrgängen ausgebildet und in SS-Uniformen gesteckt. Das muss eine schwere Zeit für die Familie gewesen sein, insbesondere für meine Großeltern, die sicherlich sehr besorgt und empört über die Zwangsrekrutierung ihres Sohnes waren. Mein Großvater, Karl Schott, war kein Nazi und verachtete Hitler, was meine Mutter immer wieder betonte.
Onkel Gerdl wurde im November 1948, nach fast fünf Jahren in Gefangenschaft und Arbeitslager, schließlich entlassen. Er hatte unter extrem harten Bedingungen in verschiedenen Gefangenenlagern gelitten, unter anderem im berüchtigten Lager in Cherbourg, das als „Die Hölle von Cherbourg“ bekannt war. Das war eine Zeit unvorstellbaren Leidens.
Auch mein Onkel Heinz, Karl Heinz Schott (*29.05.1924 in Breslau – †08.04.2010 in Brühl), der 1942 im Alter von 18 Jahren eingezogen wurde, hatte seinen Anteil an den Schrecken des Krieges. Zunächst war er in einer Flugzeugführerschule (See) A/B 10 für Piloten in Warnemünde stationiert, doch 1945 fand er sich im Divisions-Füsilier-Bataillon 347 im Einsatz an der Westfront wieder, möglicherweise im Gebiet um Stiering-Wendel im Saarland. Die Erfahrungen meiner beiden Onkel, die in einem Krieg aufgewachsen sind, den sie nicht selbst gewählt haben, prägten nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das unserer Familie auf tiefgreifende Weise.
ANKUNFT DER SCHLESIER IN DER NEUEN HEIMAT – NO REFUGEES WELCOME
»Schlesier waren keine besseren Menschen.
Sie hatten nur das schwerere Schicksal und sie büßten härter
als die meisten Westdeutschen für Hitlers Untaten«
Peter Pragal (* 8. Juni 1939 Breslau)
Diejenigen, die die Flucht überlebten, fanden in der neuen Heimat nicht immer Zuflucht. Statt Mitgefühl erfuhren viele Vertriebene Ablehnung, Diskriminierung und Ausgrenzung.
Sehr eindrucksvoll schildert der in Breslau geborene Journalist Peter Pragal in seinem Roman »Wir sehen uns wieder, mein Schlesierland. Auf der Suche nach Heimat«, wie schwer es die schlesischen Flüchtlinge und Vertriebenen in ihrer neuen Heimat hatten.
«Dass wir mit offenen Armen aufgenommen wurden, kann man wirklich nicht sagen. Der
Bauer ließ uns Habenichtse seine Ablehnung
und Verachtung spüren ... Abfällig sprachen Einheimische von uns Schlesiern als ‚Polacken.
Sie hatten keine Ahnung von unserer ostdeutschen Heimat.
Sie wussten nichts über unsere Geschichte, über die Kultur der Städte, die Größe der land-wirtschaftlichen Güter oder die Schönheitder Landschaft.»
„...zehn Morgen Wind ums Haus“
«Wenn Vertriebene von ihren verlorenen Besitztümern erzählten, hielten die Einheimischen das für maßlose Übertreibung. Hohnvoll erklärten sie den vermeintlichen Angebern, diese hätten wohl „zehn Morgen Wind ums Haus“ besessen. Konnte man den Bauern ihre Unwissenheit und ihre Vorurteile vorwerfen? Menschen, die vor dem Krieg kaum über die Grenzen ihrer Dörfer hinausgekommen waren?
Hätten sich die Landwirte aus dem Riesengebirgs-Vorland anders verhalten, wenn sie unter anderen geschichtlichen Umständen gezwungen gewesen wären, Westfalen, Bayern oder Schwaben aufzunehmen? Wahrscheinlich nicht.»
VERSÖHNUNG – EINE REISE ZU MEINEN WURZELN
Meine Mutter war bis an ihr Lebensende traumatisiert. Sie wollte nie nach Schlesien zurückkehren – in ihrem Herzen trug sie den Groll:
»Der Pole hat mir meine Heimat genommen.«
Doch ich, die jüngste Tochter, teilte diesen Hass nie. Im Gegenteil: In einer tiefgehenden Familienaufstellung, ein Jahr nach Mutters Tod, offenbarte sich, dass meine Seele mit dem polnischen Volk in Liebe verbunden ist.
Seit dieser Familienaufstellung sind 15 Jahre vergangen – Jahre voller Herausforderungen, Lebenskrisen, schwerer Krankheiten und innerer Suche. Meine Familienforschung wurde zur Obsession. Die erste Reise in die Heimat meiner schlesischen Vorfahren war eine Mission – sie wurde zu einer Versöhnungsreise.
MEINE REISE ENDET NICHT – SIE GEWINNT AN INTENSITÄT
Mein Buch »Petronellas Reise ins Schlesierland« ist mehr als nur eine Aufarbeitung der Vergangenheit. Es ist ein Zeugnis der Heilung, der Erinnerung und der Versöhnung. Es ist die Geschichte meiner Mutter – und meine eigene. Je näher ich meinem Ursprung komme, desto intensiver wird meine Reise.
Auf meiner zweiten Reise wurde ich von den liebenswerten polnischen Besitzern des ehemaligen Schotthofes meiner Vorfahren eingeladen, eine Woche bei ihnen zu verbringen. Obwohl ich bei meiner Ankunft in Namslau einen Unfall hatte, unter dessen Folgen ich noch heute leide, erfuhr ich in dieser Woche etwas Wundervolles: Ada Madej, die neue Besitzerin des Hofes, pflegte mich liebevoll, als wäre ich Teil ihrer Familie.
Ich habe in dieser Woche mit Ada, ihrem Mann Jozeph und ihrer Familie eine tiefe Verbindung aufgebaut. Besonders das deutsch-polnische Ehepaar Alina und Alfred Matyschok, ohne die ich niemals den ehemaligen Gutshof meiner Vorfahren gefunden hätte wurden in diesen Tagen zu meinen polnischen Freunden fürs Leben.
Das Schicksal meiner Mutter und ihrer Familie steht stellvertretend für das der rund 3,25 Millionen vertriebenen Schlesier.
SEHNSUCHT EINER »HALBSCHLESIERIN« NACH DER VERLORENEN HEIMAT
Mondnacht
Es war, als hätt´der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst´.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
∞
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff
(*1788 - †1857)
MUTTERS HEIMWEH NACH DEM ODERLAND💔AUF EINER BRÜCKE IM MAINFRANKENLAND
Heimweh scheint sich in ihr Herz zu schleichen. Als würde ihr Blick in Gedanken zur Universitätsbrücke, wo sie einst mit ihrer Mutter Klara, meiner schlesischen Oma, die ich leider nie kennenlernen durfte, stand und über die sanft fließende Oder schaute schweifen. Die vertrauten Ufer und das glitzernde Wasser wecken Erinnerungen an vergangene Tage in der Heimat, die sie tief in sich trägt. Je älter meine Mutter wurde, desto mehr litt sie unter dem Verlust ihrer Heimat und geliebter Menschen.
SEHNSUCHT NACH MEINER VERLORENEN HEIMAT IM OSTEN
Je älter und weiser ich werde, desto mehr sehne ich mich nach meiner schlesischen Seelenheimat. Je mehr ich zu meinem wahren Selbst finde, desto mehr wird mir bewusst, dass ich offenbar nicht nur Mutters Traumata der Flucht, sondern auch Mutters Sehnsucht nach ihrer Heimat geerbt habe. Meine Mutter war auf dem obigen Foto 70 Jahre alt, nur drei Jahre älter als ich, ihre fünfte und jüngste 1958 in Gemünden am Main geborene Tochter heute. Gemünden am Main, meine Geburtstadt zu der ich dennoch keine emotionale Verbindung habe. Ich war lange nicht mehr dort. Es zieht mich auch nicht hin. Dass sich meine Seele mehr nach dem Oderland, der verlorenen Heimat meiner Vorfahren sehnt, als nach dem Mainfrankenland, wo ich geboren und aufgewachsen bin, können vielleicht nur Menschen mit schlesischen Wurzeln nachvollziehen.
Ich spüre schon lange eine unerklärliche emotionale Bindung zu Schlesien, obwohl ich nie dort gelebt haben.
Mit Ende 60 würde mich selbst der malerischste, spektakulärste Anblick meiner ganz reizvollen Geburtsstadt Gemünden wohl kaum so bewegen wie der Ausblick von der Universitätsbrücke auf das Oderufer in Breslau im September 2024. Die Universitätsbrücke
Breslau, ein geschichtsträchtiges Bauwerk mit einem atemberaubenden Blick auf die Oder, birgt wie so viele andere Orte Niederschlesiens eine besondere Verbindung zu meiner Familiengeschichte.
UNSTERBLICHE SCHLESISCHE SEELEN
Meine Mutter Charlotte und ich, wir waren und sind verwandte Seelen.
Diese tiefe Verbundenheit zwischen mir und meiner Mutter spiegelt sich ganz besonders in der geteilten Sehnsucht nach ihrer Heimat wider.
Die Faszination für Schlesien erwachte in mir erst nach dem Tod meiner Mutter vor 17 Jahren. Dieser einschneidende Moment wurde zum Katalysator für meine Reise in die Vergangenheit, als ich begann, die Wurzeln meiner Familie zu erforschen. Die Ahnenforschung öffnete mir ein Fenster zu einer Welt, die zuvor im Nebel der Familiengeschichte verborgen lag. Plötzlich gewann Schlesien, die Heimat meiner Vorfahren, eine neue, persönliche Bedeutung und wurde zum zentralen Fokus meiner genealogischen Entdeckungsreise.
Heute empfinde ich gelegentlich Bedauern darüber, dass ich viele Fragen ungestellt ließ, als meine Mutter noch in ihrer vollen geistigen Kraft war. Vor ihrem schweren Schlaganfall im Alter von 84 Jahren zeichnete sie sich durch ihren sprühenden, wachen und kritischen Verstand aus. Ihr Esprit und ihr freches schlesisches Mundwerk waren charakteristisch für sie.
In ihren Erzählungen über die geliebte Heimat lag stets eine tiefe Wehmut, die ich als Kind nicht vollends verstehen konnte. Jetzt wünsche ich mir, dass ich ihr mehr zugehört und tiefer in die Geschichten eingetaucht wäre. Doch einige ihrer Erzählungen waren für mich als Kind einfach zu belastend. Meine hochsensible Seele machte es mir schwer, manche der schmerzlichen Erinnerungen zu verarbeiten, weshalb ich es unbewusst vermied, tiefer in diese Geschichten einzutauchen.
Dennoch haben die Erzählungen meiner Mutter, einschließlich der unausgesprochenen Worte, tiefe Spuren in mir hinterlassen. Ihre Erfahrungen, Gefühle und Ängste, ihr Schmerz, ihre Verluste und die unstillbare Sehnsucht nach der verlorenen Heimat sind wie ein unsichtbares Erbe in meinem Inneren verankert. Gleich einer verborgenen Melodie, die in den Tiefen meiner DNA nachhallt, haben diese Eindrücke meine Persönlichkeit geformt und mein Verständnis der Welt geprägt.
Unsere gemeinsame Bewunderung für Goethe war ein starkes Band zwischen uns. Trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen bewahrte meine Mutter die Fähigkeit, unser beider Lieblingsgedicht "Mignon" zu rezitieren. Mit leiser, zittriger Stimme, aber bemerkenswert präzise, trug sie die vertrauten Verse vor. Diese Momente, in denen Goethes Worte durch ihre Stimme lebendig wurden, waren besonders kostbar und zeugten von der tiefen Verbindung, die wir durch unsere Liebe zur Literatur teilten.
Die Art, wie sie "Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn" vortrug, war ein bewegendes Zeugnis ihrer geistigen Stärke und unserer gemeinsamen Leidenschaft. Ihre Rezitation, obwohl physisch geschwächt, blieb fehlerfrei und voller Gefühl – ein Beweis dafür, wie tief die Verse in ihrem Herzen verankert waren. Diese geteilten literarischen Momente wurden zu einem wertvollen Schatz unserer Beziehung, der die Grenzen körperlicher Einschränkungen transzendierte.
Als ich über das Gedicht "Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn" nachdachte, überkamen mich erneut die Emotionen. Dieses Gedicht, das uns so viel bedeutet hatte, war das letzte, das ich meiner Mutter vortrug, als sie im Sterben lag. Meine Stimme war von Tränen erstickt, als ich die vertrauten Zeilen sprach.
Der Abschied von meiner Mutter, die ich liebevoll "Knötchen" nannte, war zweifellos der schmerzlichste Moment meines Lebens.
MUTTERS BITTERSÜSSES VERMÄCHTNIS
Diese emotionale Erbschaft, übertragen durch Worte und Schweigen gleichermaßen, ist zu einem untrennbaren Teil meiner Identität geworden. Wie feine Wurzeln haben sich die Geschichten und Erfahrungen meiner Mutter in meinem Unterbewusstsein verzweigt.
An diesem Baum, der einst im Schlosspark von Dammer stand und heute in Dąbrowa wächst, ist meine Mutter sehr wahrscheinlich oft vorbeigeradelt, wenn sie vom Bahnhof auf dem Heimweg war – damals, als er noch ein junges Bäumchen war.
Mein "vererbtes" Heimweh nach Schlesien und die zunehmende Intensität dieses Gefühls mit fortschreitendem Alter sind keineswegs ungewöhnlich. Viele Nachkommen von Vertriebenen erleben eine ähnliche Entwicklung, bei der die Verbindung zur Heimat ihrer Vorfahren mit der Zeit stärker wird.
Auch dass meine Suche nach den eigenen Wurzeln für mich geradezu zur Obsession wurde, scheint ein häufiges Phänomen unter den Nachkommen von Vertriebenen.
DIE GETEILTE LAST MIT DEM HEIMATVERLUST VON UNS NACHKOMMEN
Meine Erfahrungen spiegeln in gewisser Weise einen generationenübergreifenden Aspekt des Heimatverlusts wider. Obwohl wir selbst nicht direkt von der Vertreibung betroffen waren, haben wir die emotionale Last und die unverarbeitete Trauer unserer Vorfahren geerbt. Diese transgenerationale Weitergabe von Gefühlen und Erinnerungen ist ein bekanntes Phänomen unter Familien von Vertriebenen.
Diese "Obsession" mit der Suche nach meinen schlesischen Wurzeln ist aber auch ein positiver Prozess der Selbstfindung und Identitätsbildung.
Meine "Schlesien-Obsession" hängt darüber hinaus mit zunehmendem Alter zusammen, da ich als Rentnerin nun die Zeit und emotionale Reife habe, mich mit diesem komplexen Teil meiner Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Viele Menschen erleben in späteren Lebensphasen ein verstärktes Bedürfnis, ihre Wurzeln zu erforschen und zu verstehen.
Die Vorfahren meiner schlesischen Mutter Charlotte Schott lebten bereits seit dem 18. Jahrhundert als sogenannte Erbscholitiseibesitzer im niederschlesischen Dammer (polnischen Dabrowa) Kreis Namslau (Namyslow)
Erbscholtiseibesitzer waren in Niederschlesien um 1760 eine besondere Gruppe von Landbesitzern. Sie besaßen ein sogenanntes Scholten- oder Scholzengut, das auch als Scholtisei oder Erbscholtisei bezeichnet wurde. Diese Erbscholtiseien waren oft mit besonderen Rechten und Pflichten verbunden.
Schlesien liegt heute zum größten Teil in Polen. Ein kleiner Teil im Westen von Niederschlesien gehört zu Deutschland, ein südlicher Teil von Oberschlesien zu Tschechien.
Nach dem Zweiten Weltkrieg behandelten die Alliierten auf der Potsdamer Konferenz Deutschland in den Grenzen von 1937.
Das östlich der Oder-Neiße-Linie gelegene Gebiet der Provinz Schlesien wurde 1945 unter polnische Verwaltung gestellt. Entsprechend der getroffenen Vereinbarung sollte die endgültige Festlegung der Grenze zwischen dem vereinten Deutschland und Polen einer abschließenden Friedenskonferenz vorbehalten bleiben.
Nach Übernahme der Verwaltung durch polnische Zivilbehörden wurde dieser größere Teil Schlesiens administrativ in den polnischen Staat eingegliedert, die deutschen Ortsnamen wurden entfernt und die deutsche Bevölkerung größtenteils vertrieben oder (zwangs-)polonisiert.
Das Gebiet des geschichtlichen Niederschlesiens ist grün gekennzeichnet, gelb Oberschlesien und in rot gefasst die derzeitige Woiwodschaft Niederschlesien. Das heutige Gebiet der Woiwodschaft Niederschlesien fällt nicht mit den historischen Grenzen Niederschlesiens zusammen.
Die Woiwodschaft besteht aus Gebieten, die früher als getrennte Länder betrachtet wurden, z. B. die Grafschaft Glatz oder ein Fragment der Oberlausitz. Darüber hinaus befindet sich ein Teil des historischen Niederschlesiens außerhalb der Provinz, zum Beispiel Sagan und Grünberg. In den Köpfen vieler Menschen wird Niederschlesien jedoch häufig mit dem Gebiet der Woiwodschaft Niederschlesien identifiziert. Aus diesem Grund veröffentlichen wir im Portal Artikel zur Region. Wir erinnern uns jedoch an die alten historischen Grenzen.
ICH FOLGTE DEM RUF MEINER AHNEN - DANN SAGTE MEIN HERZ WILLKOMMEN DAHEIM
Im Frühjahr 2024 wurde der Impuls die verlorene Heimat meiner Mutter und meiner Vorfahren kennezulernen schlussendlich so stark, dass ich alles in Bewegung setzte diese Reise trotz aller Hindernisse zu ermöglichen.
6. April 2024 ∞ MIT DEM TAXI VON NAMSLAU NACH MUTTERS HEIMATDORF DAMMER
Es war ein wunderschöner Frühlingstag – strahlend blauer Himmel, angenehm warm. Mein Herz klopfte vor Aufregung. Ich spürte, dass etwas Besonderes auf mich wartete, doch was ich zwei Stunden später erleben sollte, übertraf all meine Erwartungen.
Der freundliche polnische Taxifahrer ließ mich am Friedhof der heiligen St. Hedwig aussteigen und wünschte mir viel Glück bei meiner Suche. Kaum berührten meine Füße den Boden der Heimat meiner Vorfahren und ich atmete die klare Luft ein, legte sich eine fast magische Stille über den Ort. Die Welt schien für einen Moment den Atem anzuhalten. Nur das Zwitschern der Vögel und das sanfte Gurren der Tauben durchbrachen die Ruhe – als wären sie Botschafter aus einer anderen Welt, die mich willkommen hießen.
ES WAR MYSTISCH, ÜBERIRDISCH – EIN GEFÜHL VON HEIMKEHR
Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich wirklich zu Hause. Ein unbeschreibliches Gefühl, das mich tief im Innersten berührte. Tränen liefen über mein Gesicht – doch es war kein Schmerz, der mich weinen ließ, sondern eine überwältigende Welle aus Liebe und Dankbarkeit. Mein Herz war nicht schwer, sondern erfüllt. Und noch heute steigen mir die Tränen in die Augen, wenn ich an diesen Moment zurückdenke
WOIWODSCHAFT NIEDERSCHLESIEN
DOLNY ŚLĄSK
DAS WAPPEN VON NIEDERSCHLESIEN
Das Wappen von Niederschlesien sowie von ganz Schlesien ist im goldenen Feld ein schwarzer Adler mit silberner Sichel, der mit einem Kreuz gekrönt ist. Dieses Wappen stammt direkt aus der Zeit der schlesischen Dynastie der Piasten von Schlesien. Der schwarze Adler wurde jahrhundertelang in verschiedenen Varianten als Wappen von ganz Schlesien verwendet. Heute ist es das Wappen der Woiwodschaft Niederschlesien.
Die Oder in Breslau (Wrocław) verzweigt sich in ein komplexes Netzwerk von Nebenarmen und Kanälen, die die Stadt durchziehen Die Stadt ist bekannt für ihre zahlreichen Wasserläufe, die mehr als 12 Inseln bilden und von über 120 Brücken überspannt werden. Diese Vielzahl an Wasserläufen und Brücken hat Breslau den Beinamen "Venedig des Ostens" eingebracht.Die Nebenarme der Oder tragen zur einzigartigen Atmosphäre bei und sind ein wesentlicher Teil der Stadtlandschaft.
Und wo auch immer ich unterwegs war, ob in Breslau, Namslau oder in Dammer, ich fühlte mich daheim und spürte die Präsenz meiner Mutter, meiner Großeltern und Urgroßeltern. Selbst als ich diesen schlimmen Sturz bei meiner Ankuft in Namslau hatte, unter den Folgen ich heute noch zu kämpfen habe. Ich spürte tief in meiem Inneren, dass das so verrückt es auch klingen mag, ein Teil meines Seelenplans, meiner Bestimmung war. zu meinem Besten war, weil ich nur so diese wunderbare Erfahrung machen konnte von der pßolnischen besitzerin Ada gepflegt und bemuttert zu werden als würde ich zur Famile gehören.
Ob Sie wusste, dass viele ihrer Vorfahren vor mehr als 600 Siedler aus Franken, Thüringen und Hessen waren. dass sie vertrieben wurde aus ihrer Heimat die ... Ich glaube nicht, dass sie das wusste. Ob es mein Opa wusste der immerhin Abitur hatte, was Mutter immer sehr betonte. Dewegen war er auch so stolz auf seien Enkelin, die einzige in der Famiie die Abitur und sogar ein abgeschlossenes Studium hatte. Das mir dem Studium konnte r nicht mehr erleben, denn erstarb 1977 als ich Abitur machte. Reich an Bildung und Wissen in matereller Hinsicht die ärmste seiner Nachfahren.
Was hätten meien fränkischen Großeltern, diese schlichten Gemüter wohl dazu gesagt, dass die Vorfahren dieser Polackin, auf die sie so herabsahen ursprünglich aus ihrer fränkischen Heimat stammten.
Die Erfahrungen und Gefühle meiner Mutter sind Teil meiner eigenen Identität geworden. Diese Gefühle sind offenbar normal und weit verbreitet. Viele Nachkommen von Vertriebenen berichten von ähnlichen Erfahrungen. Diese vererbte Sehnsucht kann als Teil meines emotionalen Erbes betrachtet werden, das ich mit meiner Mutter teile.
Diese emotionale Bindung an Schlesien, die meine Mutter in sich trug, scheint über Generationen hinweg auf mich ihre Spätgeborene fünfte Tochter übergegangen zu sein.
Heimatgefühle können tatsächlich tief verwurzelt sein und sich über Generationen vererben. Die Geschichten, Traditionen und Erinnerungen, die meine Mutter mit mir geteilt hat, haben vermutlich dazu beigetragen, dass ich eine ähnliche emotionale Verbindung zu Schlesien entwickelt haben, obwohl ich selbst nie dort gelebt haben.
Diese transgenerationale Weitergabe von Heimatgefühlen ist nicht ungewöhnlich. Viele Nachkommen von Vertriebenen berichten von einem undefinierbaren Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Ort, den sie nur aus Erzählungen kennen. Die Sehnsucht nach der Heimat Ihrer Mutter ist somit zu einem Teil meiner eigenen Identität geworden, eine Art emotionales Erbe, das ich mit ihr teile.
AUF DEN SPUREN MEINER MUTTER – MEINE ERSTE REISE NACH NIEDERSCHLESIEN
HOME IS WHERE YOUR HEART IS ♥ WO DAS HERZ IST, DA IST HEIMAT
SEHNSUCHT NACH NIEDERSCHLESIEN, MEINER HERZENS♥HEIMAT.
Die Resonanz der Geschichte
Die Mauern, still und doch beredt, schienen das Echo vergangener Zeiten in sich zu tragen. Meine hochsensible Seele resonierte mit den unsichtbaren, aber spürbaren Energien, die sich über die Jahrzehnte in diesem Ort angesammelt hatten.
Ein Moment der Überwältigung
Überwältigt von der Intensität dieser Erfahrung, fand ich mich in einem Strudel der Emotionen wieder. Die Kraft der gespeicherten Erinnerungen, die Präsenz vergangener Leben und Geschichten, die in jeder Faser des Gebäudes zu pulsieren schienen, berührten sie zutiefst. In diesem Augenblick verschmolz ihre persönliche Geschichte mit dem größeren Narrativ des Ortes, und schuf so einen Moment von ergreifender, fast transzendenter Bedeutung.
Selbst während Gesprächen mit anderen kämpfte ich oft mit meiner Fassung. Die Gefühle, die dieser Ort in mir auslöste, waren so intensiv und die Tränen, die ich vergoss, waren Zeugen einer profunden inneren Bewegung, die diesen Besuch zu einem unvergesslichen Erlebnis machten.
Es war mehr als ein bloßer Besuch des einstigen Arbeitsplatzes meiner Mutter. Es war eine emotionale Reise durch die Zeit, bei der jeder Schritt, jeder Blick und jeder Atemzug von einer tiefen Verbundenheit und Ehrfurcht geprägt war.
Dieser Besuch hinterließ bei mir einen unauslöschlichen Eindruck, der weit über die bloße Besichtigung eines historischen Gebäudes hinausging. Es war eine Reise zu den Wurzeln meiner eigenen Geschichte, Der Besuch im ehemaligen Landratsamt von Namslau, dem heutigen Gemeindeamt Namysłów war für meine hochsensible, verwandte Seele sehr ergreifend und unvergesslich.
EINE EMOTIONALE REISE IN DIE VERGANGENHEIT
Der Besuch im ehemaligen Landratsamt von Namslau, das heute als Gemeindeamt Namysłów dient, war für mich eine zutiefst bewegende Erfahrung. In den ehrwürdigen Hallen dieses geschichtsträchtigen Gebäudes verschmolzen Vergangenheit und Gegenwart zu einem einzigartigen Moment der Erinnerung und Reflexion.
Während meines gesamten Aufenthalts in diesem geschichtsträchtigen Gebäude befand ich mich in einem Zustand tiefer emotionaler Bewegtheit. Die Atmosphäre und die Erinnerungen, die diese Mauern in sich trugen, berührten mich auf eine Weise, die ich kaum in Worte fassen kann.
Überwältigende Gefühle – zwischen Fassung und Ergriffenheit
Ich verbrachte etwa eine Stunde im einstigen Landratsamt. Fasziniert von den Rumlichkeiten Treppenaufgang mit wunderschönen Glasfenstern mich eine Welle der Emotionen, die sich in stillen Tränen Bahn brach. Die Verbindung zur Vergangenheit, zu den glücklichen und auch tragischen Erlebnissen meiner Mutter und zu den unzähligen Geschichten, die sichhier abgespielt haben mussten, war nahezu greifbar.
Ich war derart berührt, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Dank einer sehr freundlichen und hilfsbereiten polnischen Mitarbeiterin, die offenbar die rechte Hand des Bürgermeisters war durfte ich mich ganz entspannt frei bewegen und sogar fotografieren. Der damalige Bürgermeister begrüßte mich sogar freundlich mit Handschlag beim Verlassen seines Büros. Eine andere Frau führe mich in ihr Büro, war sehr interssiert an meiner Mappe mit all den Dokumenten und Fotos und Unterlagen. Sie wollte mir wirklich helfen, aber konnte im Archiv nirgends Informationen und Hinweise auf meien Mutter finden, weil alles vor 1945 vernichtet wurde. Sie sprach natürlich kein Deutsch, aber sehr gut Englisch. Ich erzählte ihr von meien Plänen am nächsten Tag nach Dasbrowa, in das ehemalige heimatdorf meiner Mutter zu fahren in der Hoffnung vielleicht tatsächlich noch etwas zu finden, und wenn es nur Ruinen wären. hatte mir Wie gerne wäre ich mit meiner Mutter zu Lebzeiten das Treppenhaus hoch und hätte mir zeigen lassen wo ihr Arbeitsplatz war.
Hier, wo meine Mutter von 1937 bis 1943 als Verwaltungsangestellte tätig war, verschmolzen Vergangenheit und Gegenwart zu einer ergreifenden Symphonie der Erinnerungen. Ich spürte die Präsenz vergangener Leben und Geschichten, die in jeder Faser des Gebäudes zu pulsieren schienen, berührten sie zutiefst. In diesem Augenblick verschmolz ihre persönliche Verbindung zur Vergangenheit mit dem größeren Narrativ des Ortes und schuf so einen Moment von ergreifender, fast transzendenter Bedeutung.
DAS EHEMALIGE ANWESEN DER FAMILIE SCHOTT IM NIEDERSCHLESISCHEN DABROWA
»Wenn Vertriebene von ihren verlorenen Besitztümern erzählten, hielten das die ortsansässigen Bauern für maßlose Übertreibung. Höhnisch erklärten sie den vermeintlichen Angebern, diese hätten wohl ›zehn Morgen Wind ums Haus‹ besessen.«
Peter Pragal
Hätte ich meiner Mutter diesen Satz aus Peter Pragals Buch vorgelesen, würde sie vermutlich mit einem wehmütigen Blick und einem verständnisvollen Nicken reagieren. Und dann würde sie vielleicht sagen, »ach, mein Petrale, wenn du wüsstest, das ist ja noch untertrieben und geradezu harmlos. Du glaubst ja gar nicht was ich die ersten Jahre in Heßdorf mitgemacht habe. Wie sehr ich in von Papas Eltern auf diesem armseligen Hof beleidigt und gedemütigt wurde. Ach Petronella, es macht mich ganz wehmütig, wenn ich an mein Elternhaus in Dammer zurückdenke. Es mangelte uns an nichts, wir hatten Bedienstete im Haus, und einige Helfer für den Hof. Unsere liebe Köchin Suse sorgte für unser leibliches Wohl. In der Speisekammer hingen die gerupften Gänse, der große Vorratskeller war sogar in den schweren Kriegszeiten immer voll. Da waren nicht wie in Heßdorfer Keller Fässer mit Most, sondern Regale mit erlesenen Weinen.
Das weckt jetzt solche Erinnerungen an meine schöne Heimat. Im Eingangsbereich, da war diese wunderschöne Zimmerlinde, im großen Wohnzimmer stand das Harmonium in der Ecke, auf dem meine Mutti und ich so gern spielten. Vatel war schließlich ein angesehener Gutsbesitzer und hatte immerhin Abitur. Papas Eltern, ach, was soll ich dir sagen, die hatten doch keine Bildung, die hatten nie von Goethe gehört, die haben nie ein Theater oder eine Oper von Innen gesehen. Die sind doch nie aus diesem elenden Nest Heßdorf herausgekommen. Aber für sie war ich die verhasste Polackin, die zudem einen Balg mit in die Ehe gebracht hatte.
Glaube mir, die Situation in Heßdorf war in den ersten Nachkriegsjahren für mich weitaus härter als das Leben einer Magd auf unserem Gut in Dammer. Statt meiner gewohnten Tätigkeit im Landratsamt Namslau nachzugehen, sah mein Alltag nun gänzlich anders aus: In aller Frühe musste ich den Ofen in der eiskalten Küche anfeuern, bevor ich zum Melken in den Stall eilte. Den Rest des Tages füllten endlose Haushaltsaufgaben - Kochen, Putzen, Wäsche waschen. Nachmittags, ungeachtet der Witterung, wartete harte Feldarbeit wie das Rübenhacken auf mich. Vielleicht Verstehst du jetzt, warum ich mich kaum um euch Kinder kümmern konnte. Ich war total überfordert mit allem.
Trotz der harten Arbeit plagten uns ständig finanzielle Sorgen. In den fast fünf Jahrzehnten unserer Ehe konnten dein Vater und ich uns nicht einmal einen gemeinsamen Urlaub gönnen. Dein Papa hatte leider auch kein Händchen für den Umgang mit Geld. Es mag dir nicht gefallen, das zu hören, aber in dieser Hinsicht schlägst du ganz nach deinem Vater. Auch deine Gefräßigkeit und dein aufbrausendes Temperament hast du von ihm geerbt
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Schlesien liegt heute zum größten Teil in Polen. Ein kleiner Teil im Westen von Niederschlesien gehört zu Deutschland, ein südlicher Teil von Oberschlesien zu Tschechien.
Ein Teil der damals 4,5 Millionen Schlesier floh ab Anfang 1945 vor der anrückenden Roten Armee. Ab dem Frühsommer 1945 wurde die Vertreibung der Deutschen von polnischen Stellen organisiert. Für Gebiete, die außerhalb der Reichsgrenzen von 1937 gelegen waren, ermöglichten die hierzu erlassenen Bierut-Dekrete die Einziehung des gesamten beweglichen und unbeweglichen Eigentums von Personen deutscher Nationalität zugunsten des polnischen Staates. Daneben nahmen örtliche polnische Verwaltungsbehörden auch schon sofort nach Kriegsende eigenmächtig „wilde Vertreibungen“ aus Gebieten innerhalb der Reichsgrenzen von 1937 vor. Im Juni 1945 wurden alle Deutschen aus einem Gebietsstreifen von etwa 30 Kilometer Breite unmittelbar östlich der Lausitzer Neiße vertrieben.
Mein erster Flug seit 13 Jahren am Ostermontag, den 1. April 2024
Warum ging mir in Breslau das Herz auf, warum fühlte ich mich daheim als ich aus dem Flugzeug ausstieg und schlesischen Boden betrat. Heimat ist nicht zwingend an einen konkreten Ort gebunden, sondern ein Gefühl der Zugehörigkeit und Geborgenheit, das sich an verschiedenen Orten entwickeln kann. Meine starke emotionale Reaktion auf Breslau zeigt, dass ich dort eine Art "Wahlheimat" gefunden habe, die mir ein Gefühl von Zuhause vermittelt, das ich an meinem Geburtsort oder Aufwachsort nicht empfinde.
Es ist völlig normal, dass sich Heimatgefühle im Laufe des Lebens verändern und an neuen Orten entstehen können. Meine Erfahrung in Breslau unterstreicht die persönliche und emotionale Natur von Heimat, die weit über geografische Herkunft hinausgeht. Das Heimatgefühl ist nicht statisch, sondern ein dynamischer Prozess, der sich im Laufe des Lebens verändern kann5. Neue Erfahrungen und Erinnerungen können dazu führen, dass sich das Verständnis von Heimat wandelt oder sich auf mehrere Orte ausdehnt.
MAGISCHES BRESLAU/WROCłAW ♥ DAS VENEDIG DES OSTENS
Breslau (heute Wrocław) – Hauptstadt der Woiwodschaft Niederschlesien, die Geburtsstadt meiner Mutter, hat mich seit meiner ersten Schlesienreise im Frühjahr 2024 in ihren Bann gezogen. Ich glaube, das geht vielen so. Wer könnte sich der Magie dieser faszinierenden Metropole, die man einst die Blume Europas nannte, entziehen.
Charlotte
Die glückliche Geburt eines munteren Töchterchens
zeigen hocherfreut an, Dammer, den 10. Juni 1920
s-Kt Breslau, Kronprinzenstr. 28
Karl Schott, Gutsbesitzer und Frau Kläre, geb. Nalepa
Die Kronprinzenstraße heißt seit 1945 ul. Gwiazdźista
Die Salvatorkirche in der Bohrauer Straße 4 (heute ulica Borowska) in Breslau war eine neugotische evangelische Kirche, die in der Schlacht um Breslau zerstört wurde.
on 1900 bis 1910 war Emil Kraeusel Pfarrer an St. Salvator und von 1935 bis 1940 Heinrich Benckert, ein Angehöriger der Bekennenden Kirche.
Zu Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Kirche in der Schlacht um Breslau stark beschädigt. Sie wurde einige Jahre später vollständig abgerissen, wie die meisten stärker beschädigten und nicht (da evangelisch) denkmalgeschützten Kirchen.
Seit dem Anfang der 1990er Jahre wird das Grundstück als zentraler Omnibusbahnhof genutzt.
Salvatorkirche um 1880
Salvatorkirche um 1880
Meine Mutter schwärmte ihr Leben lang von Breslau. Sie genoss es sehr, als junge Frau in Begleitung ihrer Eltern oder ihres Ehemanns Herbert in die Breslauer Oper oder ins Theater zu gehen.
Mein erster Abend im magischen Breslau am Ostermontag ♥ 1. April 2024
Mein erster Abend im magischen Breslau am Ostermontag ♥ 1. April 2024
Die Straßenbahnen fuhren durch den Großen Ring in Breslau bis Ende der 1970er Jahre4. Danach wurden die Straßenbahnlinien auf die Ost-West-Straße verlegt. Der Große Ring, auch einfach als "Der Ring" oder auf Polnisch "Rynek" bekannt, war ein mittelalterlicher Marktplatz, der den Kern der heutigen Fußgängerzone in Breslau bildet. Die Verlegung der Straßenbahnlinien war Teil einer umfassenderen Umgestaltung des Stadtzentrums, die auch die Modernisierung der unterirdischen Infrastruktur und die Neugestaltung des Pflasterbelags in den 1990er Jahren umfasste. Die Umstellung von der Pferdestraßenbahn zur elektrischen Straßenbahn in Breslau erfolgte schrittweise zwischen 1893 und 1906.
Die erste elektrische Straßenbahnlinie in Breslau wurde am 14. Juni 1893 eröffnet12. Dies war auch die erste elektrisch betriebene Straßenbahn auf dem heutigen polnischen Staatsgebiet12.
Trotz der Einführung der elektrischen Straßenbahn blieb die Pferdestraßenbahn noch für einige Jahre in Betrieb. Im Jahr 1900 besaß die Breslauer Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft (BSEG) noch 524 Pferde und 140 Wagen für den Pferdebahnbetrieb12.
Der letzte Pferdestraßenbahnbetrieb in Breslau wurde schließlich am 30. Juni 1906 eingestellt12. Damit war die Umstellung auf elektrischen Betrieb vollständig abgeschlossen.
Die Umstellung von der Pferdestraßenbahn zur elektrischen Straßenbahn in Breslau erfolgte schrittweise zwischen 1893 und 1906.
Die erste elektrische Straßenbahnlinie in Breslau wurde am 14. Juni 1893 eröffnet12. Dies war auch die erste elektrisch betriebene Straßenbahn auf dem heutigen polnischen Staatsgebiet12.
Trotz der Einführung der elektrischen Straßenbahn blieb die Pferdestraßenbahn noch für einige Jahre in Betrieb. Im Jahr 1900 besaß die Breslauer Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft (BSEG) noch 524 Pferde und 140 Wagen für den Pferdebahnbetrieb12.
Der letzte Pferdestraßenbahnbetrieb in Breslau wurde schließlich am 30. Juni 1906 eingestellt12. Damit war die Umstellung auf elektrischen Betrieb vollständig abgeschlossen.Am 2. April 1892 erhielt die Elektrische Straßenbahnen in Breslau AG (ESB) eine Konzession für 30 Jahre für den Bau und Betrieb eines elektrischen Straßenbahnnetzes. Am 14. Juli 1893 wurde die erste Linie eröffnet, die die erste elektrische Straßenbahn auf heutigem polnischen Staatsgebiet war. Die BSEG wollte ihre Pferdebahnlinien elektrifizieren und erwarb für ihre Linien am 14. Juni 1892 eine Konzession.